Die Sinne müssen funktionieren

Interview mit Friedrich Huchting zur Wahrnehmungstherapie

Friedrich Huchting ist Leiter der Praxis Friedrich Huchting in Eutin/Gothendorf. Seit 30 Jahren arbeitet der staatlich anerkannte Motopäde therapeutisch mit Kindern. Acht Jahre leitete er die Ausbildung der Tomatis-Therapeuten in Deutschland und Österreich. Seit 1991 leitet er in Schwerin den Zertifikatskurs „Psychomotorische Wahrneh-mungsbehandlung“.

Herr Huchting, worin sehen Sie Bedeutung einer Wahrnehmungstherapie?

Jeder Mensch nutzt seine Sinne, um sich in seiner Umwelt zu orientieren. Kinder müssen diese Fähigkeit erst noch lernen und entwickeln. Eine klare, eindeutige Wahrnehmung ist die Grundlage für Selbstbewußtsein, Lern- und Kommunikationsfähigkeit. Wenn wir mit unseren Sinnen die Umwelt in uns aufnehmen und daran lernen wollen, müssen wir uns auf unsere Sinne verlassen können. Die Sinne müssen funktionieren. Aber selbst mit geschädigten Sinnesorganen kann man eine hervorragende Wahrnehmungssicherheit erlangen. Entscheidend ist die Fähigkeit des Gehirns, die Sinneseindrücke miteinander zu vernetzen. Diese Fähigkeit kann man bei jedem Menschen durch gezielte Wahrnehmungstherapie verbessern. Das ist der Schwerpunkt unserer Arbeit.

Was ist eigentlich eine Wahrnehmungsstörung?

Menschen, denen es nicht gelingt, ihre „Sinne zusammenzubringen“, entwickeln Wahrnehmungsstörungen. Eine Wahrnehmungsstörung kann nämlich nicht an objektiven Maßstäben gemessen werden, sondern zeigt sich immer am Effekt: Aufmerksamkeitsstörungen (ADS), Hyperaktivität, mangelndes Selbstbewußtsein, Verhaltensauffälligkei-ten, schulische Probleme. Aber auch allgemeine Entwicklungsverzögerungen und Auffälligkeiten der Bewegungsko-ordination und des Gleichgewichts sind häufig die Folgen. Dieser Prozess ist individuell verschieden. Daher untersuchen wir jedes Kind sehr ausführlich individuell.
Die uns vorgestellten Kinder haben fast alle ein eingeschränktes Selbstbewußtsein, sie haben häufig Angst und tun sich schwer in der Kommunikation und sozialen Integration. Die meisten von ihnen leiden unter ihren Problemen.

Sie haben seit fast 18 Jahren Erfahrung mit der Systemischen Hörtherapie, besonders in bezug auf die Behandlung von Kindern. Weshalb kommen Eltern mit ihren Kindern zu Ihnen?

Die Eltern kommen zu uns, weil sie bei ihren Kindern Wahrnehmungsstörungen vermuten und weil sie von Erfolgen gehört haben. Den Eltern ist aufgefallen, daß ihre Kinder ganz offensichtlich Probleme mit dem Hören haben, ob-wohl die Ohren -medizinisch gesehen- gesund sind. Die Kinder verstehen vieles nicht, fragen oft nach und können sich mehrere Aufträge nicht merken. Für viele ist es in Kindergarten und Schule zu laut. Die ganz normale Lautstärke und Lebendigkeit einer Kindergruppe überfordert sie. Es will ihnen auch nicht gelingen, Sinnvolles und Störendes zu trennen. Diese Kinder sind dann von jedem kleinen Geräusch irritiert und abgelenkt. Konzentrationsschwäche, motorische Unruhe und frühe Erschöpfung sind die Folge und werden fatalerweise oft als Aufmerksamkeitsstörung diagnostiziert. Schulprobleme stehen oft im Vordergrund und wir finden dann Sprachprobleme und Teilleistungsstö-rungen (z. B. Legasthenie,) die auf Hörwahrnehmungsstörungen zurückzuführen sind.

Wie konnten Sie diesen Kindern helfen?

Wir haben viele Möglichkeiten, diesen Kindern zu helfen. Besonders wichtig ist uns die Beziehung, die wir zu den Kindern finden. Wir nehmen die Kinder in ihrer Individualität an und sehen bei jedem das Entwicklungspotential. Jedes Kind hat Stärken!
Am Anfang unserer Arbeit steht immer eine umfangreiche Untersuchung. Wir untersuchen die verschiedenen Wahr-nehmungsbereiche mit speziellen Testverfahren. Bei der Umsetzung in Therapieziele leiten uns die folgenden Frauagen: Wie erlebt das Kind seine Möglichkeiten und Grenzen? Welche Verbesserungen wünschen sich Kind und Eltern? Welche Voraussetzungen bringt das Kind mit? Diese und ähnliche Fragen helfen weiter.
Wir sind in der glücklichen Lage, verschiedene Methoden (Systemischen Hörtherapie, Psychomotorik-Therapie, Systemisch-INtegrative Baratung und Familientherapie) anbieten zu können.
Die begleitende, auf Lösungen bedachte Beratung der Eltern ist uns besonders wichtig. Die ganze Familie lernt mit und entwickelt sich mit dem Kind.
Wir haben in den letzten achtzehn Jahren viele beeindruckende Entwicklungen erlebt. Bei den meisten Kindern führte die Verbesserung von Gleichgewicht, Bewegungskoordination, Hörwahrnehmung und Sprache zu besserer Aufmerksamkeit und Konzentration.
Erfreulicherweise waren auch in der Regel das Sozialverhalten und das Selbstbewusstsein signifikant besser.

Oft wird behauptet, die Eltern erziehen ihre Kinder falsch. Haben die Kinder denn keine Probleme?

Alle Eltern machen Fehler, das ist normal.
Selbstverständlich gibt es Kinder, die Entwicklungsprobleme haben. Diesen Kindern gelingt es oft nicht, ihre Sinneswahrnehmungen zu ordnen und zu verknüpfen. Um es in einem Bild auszudrücken: Stellen Sie sich vor, in Ihrem Kopf befindet sich ein Schreibbüro. Dort werden alle Ereignisse, die in Ihnen und um Sie herum geschehen, in Form eines Drehbuches mitgeschrieben. Gelingt das, wissen Sie immer genau, welcher Film gerade gedreht wird, welche Szene dran ist und welche Rolle Sie gerade spielen. Gelingt das nicht, sind Sie desorientiert, unsicher, unruhig und nicht selten ängstlich. Viele Kinder, denen dieses „Mitschreiben“ nicht gelingt, zeigen genau diese Unsicherheit und wirken hektisch und getrieben. Ihr Verhalten ist nicht selten ein Hilferuf und das spüren Eltern.
Genau an dieser Stelle setzt die Hilfe an, die ich in meiner Praxis anbiete.


Inwieweit gehen Ihre Therapieprogramme über Hörtraining, wie es beispielsweise in Kindergärten vorgenommen wird, hinaus?


Wir unterscheiden zwischen Hören und Hinhören. Hinhören ist mehr als hören. Es entsteht auf der Suche nach Orientierung und Beziehung. Es ist die Aktivität, sich zu öffnen, sich einem Gegenüber zuzuwenden, aufmerksam zuzuhören und in freie, selbstbewusste Kommunikation zu treten. Um dieses Ziel zu erreichen haben wir ein ganzheitliches und systemisches Therapiekonzept entwickelt. Hörtherapeutische, pädagogische, sprachtherapeutische und psychologische Aspekte werden zielgerichtet miteinander kombiniert.
Uns ist die individuelle und persönliche Betreuung unserer Klienten wichtig. Wir nehmen die Kinder in ihrer Individualität an und sehen bei jedem das Entwicklungspotential. Jedes Kind hat Stärken. Wir stellen nach einer umfangreichen Untersuchung für jedes Kind und auch für jeden Erwachsenen ein individuelles Therapieprogramm zusammen. Wir begnügen uns nicht allein mit hochwertiger Technik (sog. Klangwippe, Hören über Luft- und Knochenleitung, spezielle Frequenzbearbeitungen) für das Hörtraining. Gezielte Angebote zur Verbesserung von Aufmerksamkeit, Handlungsplanung, visueller Wahrnehmung, Sprache, Kommunikation und Kreativität sind wichtiger Bestandteil der Therapie.
Bei der Kindertherapie beziehen wir immer ein Elternteil mit ein und arbeiten entweder in kleinen Gruppen oder in Einzeltherapie.
Seit vielen arbeiten wir Jahren in einem interdisziplinären Team zusammen. In unserem Team fließen pädagogische, sprachtherapeutische, motopädische und hörtherapeutische Kompetenzen zusammen.

Für weitere Informationen steht Ihnen das Team der Praxis Friedrich Huchting gerne zur Verfügung.
Telefonisch  unter 04521-709940 oder direkt in der Praxis Friedrich Huchting, Möhlenkampsweg 5 in 23701 Gothendorf.

© Friedrich Huchting 2012